4.9 Turbomolekularpumpen

Die Turbomolekularpumpe wurde 1958 von Dr. W. Becker im Hause Pfeiffer Vacuum entwickelt und patentiert. Turbomolekularpumpen gehören zu den kinetischen Vakuumpumpen. Der Aufbau ist dem einer Turbine ähnlich. In einem Gehäuse rotiert ein mehrstufiger, turbinenartiger Rotor mit beschaufelten Scheiben. Als Beschaufelung wird die Gesamtheit der Schaufeln einer Turbine oder eines Verdichters bezeichnet. Zwischen den Rotorscheiben sind ebenfalls beschaufelte Statorscheiben mit ähnlicher Geometrie spiegelverkehrt angeordnet.

Lagerung

Bei einer Lagerung der Rotoren mit zwei Kugellagern müssen wegen der Schmierstoffe beide Lager auf der Vorvakuumseite angeordnet werden. Dies bedeutet eine lediglich einseitige (fliegende) Lagerung des Rotors mit seiner großen Masse.

Demgegenüber hat die Hybridlagerung Vorteile bezüglich der Rotordynamik. Hybridlagerung bedeutet den Einsatz zweier Lagerungskonzepte in einer einzigen Pumpe. Ein mit Öl geschmiertes Kugellager sitzt am Wellenende auf der Vorvakuumseite und auf der Hochvakuumseite ein wartungs- und verschleißfreies Permanentmagnet-lager, das den Rotor radial zentriert. Das Öl zur Schmierung des vorvakuumseitigen Lagers ist dabei in einem Betriebsmittelspeicher gebunden. Ein kleines trockenes Fanglager ist innerhalb des Magnetlagerstators angeordnet. Ein Wellenzapfen dreht sich bei normalem Betrieb frei innerhalb dieses Lagers. Bei starken radialen Stößen stabilisiert das Fanglager den Rotor und dreht sich dabei nur kurzzeitig. Bei Unwucht des Rotors erzeugt die Lagerung an beiden Wellenenden wesentlich geringere Vibrationskräfte als bei fliegender Lagerung. Die Belastung der Lager ist bei einer Hybridlagerung also deutlich geringer. Außerdem entfällt bei einer Hybridlagerung das größere der beiden Lager auf der Antriebswelle, das aufgrund seiner Baugröße nur begrenzte Rotordrehzahlen zuließe.

In großen Pumpen ab einem Flanschdurchmesser von 100 mm werden alternativ sogenannte 5-Achsen-Magnetlagerungen verwendet [24]. Der Rotor wird durch eine digitale elektronische Regelung über Wegsensoren und Elektromagnete in der Schwebe gehalten. Dazu werden die oben gezeigten Freiheitsgrade der Bewegung eines Turborotors permanent überwacht und in Echtzeit nachgeregelt. Wegen des fehlenden mechanischen Kontaktes zwischen Rotor und Gehäuse sind die von der Pumpe erzeugten Vibrationen sehr gering. Der Rotor dreht sich um seine eigene Trägheitsachse. Dadurch wird eine eventuelle Unwucht durch einseitige Beschichtung oder Erosion (z. B. durch Plasmaätzen) innerhalb weiter Grenzen ausgeglichen.

Neben der auch vorvakuumseitigen Ölfreiheit ist die Verschleiß- und Wartungsfreiheit ein weiterer Vorteil. Bei Stromausfall werden die Magnetlager elektrisch aus der Rotationsenergie der Pumpe gespeist. So können minutenlange Stromausfälle problemlos überbrückt werden. Bei länger dauernden Ausfällen der Spannungsversorgung kommt der Rotor erst bei sehr niedriger Drehzahl über den Einsatz eingebauter Fanglager sicher zum Stillstand. Auch bei Betriebsstörungen wird der Rotor mithilfe der Fanglager ohne Schaden bis zum Stillstand abgebremst.

Motoren / Antriebsgeräte

Zum Antrieb der Rotoren benutzt man kollektorlose Gleichstrommotoren, die mit elektronischen Antriebs-geräten Rotationsfrequenzen bis zu 1.500 Hz (90.000 U · min-1) ermöglichen. Damit werden die zum Pumpen der Gase erforderlichen Schaufelgeschwindigkeiten erreicht.

Die Antriebsgeräte sind heute oft direkt an die Pumpen angebaut. Die Stromversorgung erfolgt mit 24, 48 oder 72 Volt Gleichspannung, erzeugt von externen oder in die Pumpenelektronik integrierten Netzteilen.

3 2 img 4 21 en 3e94386c-9d14-48e0-b786-0dc41a04c742

Abbildung 4.21: Freiheitsgrade eines Turborotors

4.9.1.1 Funktionsprinzip Turbomolekularpumpe

Die Pumpwirkung einer Anordnung aus Rotor- und Statorschaufeln beruht auf der Impulsübertragung von den schnell rotierenden Schaufeln auf die zu pumpenden Gasmoleküle. Moleküle, die auf die Schaufeln treffen, werden dort adsorbiert und verlassen nach einer gewissen Zeit die Schaufel wieder. Dabei addiert sich die Schaufelgeschwindigkeit zur thermischen Molekülgeschwindigkeit. Damit die durch die Schaufel übertragene Geschwindigkeitskomponente nicht durch Stöße mit anderen Molekülen verloren geht, muss Molekularströmung in der Pumpe herrschen, d. h., die mittlere freie Weglänge muss größer sein als der Schaufelabstand.

Bei kinetischen Pumpen stellt sich beim Fördern von Gas ein Gegendruck ein, der eine Rückströmung verursacht. Das Saugvermögen ohne Gegendruck wird mit S0 bezeichnet. Das Saugvermögen nimmt mit steigendem Gegendruck ab und erreicht den Wert 0 beim maximalen Kompressionsverhältnis K0.

3 2 img 4 22 de b2bf9ac7-6b8e-4397-ab90-cb7bdb87b2ca

Abbildung 4.22: Funktionsprinzip der Turbomolekularpumpe

Kompressionsverhältnis

Das Kompressionsverhältnis, K0 genannt, kann nach Gaede [25] abgeschätzt werden. Für optisch dichte Schaufelstruktur (Abbildung 4.22) gilt:

Formel 4-8: Kompressionsverhältnis Turbopumpe

mittlere Molekülgeschwindigkeit [m · s-1]
v Umfangsgeschwindigkeit [m · s-1]

Die geometrischen Verhältnisse sind Abbildung 4.22 entnommen. Der Faktor g liegt zwischen 1 und 3 [26]. Man sieht aus dieser Gleichung, dass K0 exponentiell mit der Schaufelgeschwindigkeit v ansteigt und ebenso mit

Deshalb ist z. B. das Kompressionsverhältnis für Stickstoff wesentlich höher als für Wasserstoff.

Saugvermögen

Das Saugvermögen S0 ist proportional der Ansaugfläche A nd der mittleren Umlaufgeschwindigkeit der Schaufeln v, also der Drehzahl. Unter Berücksichtigung des Schaufelwinkels α erhält man:

Formel 4-9: Saugvermögen Turbopumpe

Berücksichtigt man den Eintrittsleitwert des Flansches

(Formel 1-24)

sowie den optimalen Schaufelwinkel von 45°, erhält man das effektive Saugvermögen Seff einer Turbopumpe für schwere Gase (Molekulargewicht > 20) näherungsweise nach der folgenden Formel:

Formel 4-10: Effektives Saugvermögen Turbopumpe

Dividiert man das effektive Saugvermögen durch die beschaufelte Eintrittsfläche der obersten Scheibe und berücksichtigt noch den durch die Schaufeldicke versperrten Bereich durch den Faktor df ≈ 0,9, erhält man das maximale spezifische Saugvermögen einer Turbopumpe für z. B. Stickstoff (Kurve in Abbildung 4.23):

Formel 4-11: Spezifisches Saugvermögen

In Abbildung 4.23 ist auf der Y-Achse das spezifische Saugvermögen in l · s-1 · cm-2 und auf der X-Achse die mittlere Schaufelgeschwindigkeit

Geht man von diesem Punkt senkrecht nach oben, so zeigt der Schnittpunkt mit der Kurve das maximale spezifische Saugvermögen der Pumpe SA. Multipliziert man diesen Wert mit der beschaufelten Fläche der Eingangsscheibe:

erhält man das Saugvermögen der Pumpe und kann dies mit den Katalogangaben vergleichen.

2 1 img 4 23 de fb2f123c-b317-4903-becc-05516214c462

Abbildung 4.23: Spezifisches Saugvermögen von Turbopumpen

Die in Abbildung 4.23 eingetragenen Punkte sind aus Messwerten der angegebenen Pumpen von Pfeiffer Vacuum ermittelt. Punkte weit oberhalb der Kurve sind physikalisch nicht möglich.

2 1 img 4 24 de 5639e4e8-4c52-45c6-be5e-a8648b2eba28

Abbildung 4.24: Saugvermögen als Funktion der relativen Molekülmasse

3 2 img 4 25 de 071444c8-e8b1-46ab-8637-cb0630657d91

Abbildung 4.25: Saugvermögen als Funktion des Ansaugdrucks

Die so ermittelten Saugvermögen sagen noch nichts über die Werte für leichte Gase aus, z. B. für Wasserstoff. Wird eine Turbopumpe auf niedrigen Enddruck ausgelegt, werden Pumpstufen mit verschiedenen Schaufelwinkeln verwendet und die Abstufung wird auf maximales Saugvermögen für Wasserstoff optimiert. So erhält man Pumpen mit ausreichenden Kompressionsverhältnissen sowohl für Wasserstoff (etwa 1.000) als auch für Stickstoff. Wegen des hohen Partialdrucks von Stickstoff in der Luft sollte das Kompressionsverhältnis rund 109 betragen. Bei reinen Turbomolekularpumpen braucht man wegen der Molekularströmung Vorvakuumdrücke von etwa 10-2 mbar.

4.9.1.2 Funktionsprinzip Holweckstufe

Die Holweckstufe (Abbildung 4.26) ist eine mehrstufige Gaede`sche Molekularpumpe mit schraubenförmig aufgewickeltem Pumpkanal. Durch die Drehung des Rotors erhalten die in den Pumpkanal eintretenden Gasmoleküle eine Vorzugsgeschwindigkeit in Richtung des Kanals. Rückströmverluste entstehen durch Spalten zwischen den Stegen, die die Holweckkanäle voneinander trennen, und dem Rotor. Die Spaltweiten müssen klein gehalten werden, um die Rückströmung zu minimieren. Als Rotor einer Holweckstufe benutzt man zylindrische Hülsen (1), die um schraubenförmige Kanäle im Stator (2) rotieren. Durch Anordnung von Statoren sowohl außerhalb als auch innerhalb des Rotors kann man leicht zwei Holweckstufen in eine Pumpe integrieren. Dies bedeutet, dass die geförderten Gasteilchen außen am Rotor durch die Statorkanäle und anschließend innen am Rotor durch weitere Statorkanäle wieder nach oben transportiert werden, von wo sie dann in einem Sammelkanal zur Vorpumpe gelangen. Moderne Turbopumpen weisen teilweise mehrere dieser „gefalteten“ Holweckstufen auf.

Das Saugvermögen S0 der Holweckstufen ist gleich:

3 2 img 4 26 de b97ceb64-fb30-4bf8-b00b-862e9d5a0b9d

Abbildung 4.26: Funktionsprinzip der Holweckstufe

Formel 4-12: Saugvermögen Holweckstufe

Hierbei ist bh der Kanalquerschnitt und v⋅cosα die Geschwindigkeitskomponente in Kanalrichtung.

Das Kompressionsverhältnis steigt mit der Kanallänge L und der Geschwindigkeit v⋅cosα [4]

Formel 4-13: Kompressionsverhältnis Holweckstufe

Die nach dieser Formel ermittelten Werte werden in realen Holweckstufen nicht erreicht, da die Rückströmung aus dem Nachbarkanal über den Steg das Kompressionsverhältnis drastisch mindert und dieser Einfluss in der Formel 4-13 nicht berücksichtigt wird.

Zum Aufbau eines Turbopumpstands mit Membranpumpen mit einem Enddruck zwischen 0,5 und 5 hPa werden Turbopumpen heute mit Holweckstufen ausgerüstet. Man nennt solche Pumpen Turbodragpumpen. Da man zur Erzeugung niedriger Basisdrücke wegen der hohen Vorverdichtung der Turbopumpe für die Holweckstufen nur noch kleine Saugvermögen braucht, kann man die Förderkanäle und besonders die Kanalhöhe sowie die Abstände zu den Rotoren sehr klein halten und so die Molekularströmung noch bis in den Bereich 1 hPa erhalten. Gleichzeitig werden die Kompressionsverhältnisse für Stickstoff um den erforderlichen Faktor 103 erhöht. Man erkennt in Abbildung 4.27 die Verschiebung der Kompressionsverhältniskurven um etwa zwei Zehnerpotenzen hin zu höherem Druck.

2 1 img 4 27 de b7f7fab6-4f2d-405b-a5c0-690e5be4d523

Abbildung 4.27: Kompressionsverhältnisse von reinen Turbo- und Turbodragpumpen

Bei Turbopumpen, die auf hohen Gasdurchsatz ausgelegt sind, wird ein Kompromiss aus Gasdurchsatz, Vorvakuumverträglichkeit und Partikeltoleranz eingegangen und die Spaltabstände in den Holweckstufen etwas größer dimensioniert.

4.9.1.3 Pumpeigenschaften von Turbopumpen

Gaslasten

die man mit einer Turbomolekularpumpe fördern kann, steigen im Bereich konstanten Saugvermögens proportional zum Druck an. Im abfallenden Ast des Saugvermögens können die maximal geförderten Gaslasten weiter ansteigen, erreichen jedoch thermisch bedingte Grenzen, die auch von der Größe der Vorpumpe abhängen. Die maximal zulässigen Gaslasten sind weiter abhängig von der Pumpentemperatur (Kühlung bzw. auch beheizte Pumpen) und der Gasart. Problematisch ist das Fördern schwerer Edelgase, da sie bei Stößen auf den Rotor viel Verlustleistung erzeugen und wegen ihrer geringen spezifischen Wärme nur wenig davon zum Gehäuse hin abführen.

Durch herstellerseitige Messung der Rotortemperatur können gasartabhängige Prozessfenster zum sicheren Betrieb der Turbopumpen empfohlen werden. In den technischen Daten der Turbopumpen sind die maximal zulässigen Gaslasten bei Nenndrehzahl für die Gasarten Wasserstoff, Helium, Stickstoff, Argon und CF4 angegeben. Eine Reduzierung der Drehzahl erlaubt höhere Gasdurchsätze.

Die Pumpen der HiPace-Serie mit Saugvermögen > 1.000 l · s-1 sind mit einer Rotortemperaturüberwachung ausgestattet und schützen sich selbst vor Überhitzung.

Vorvakuumverträglichkeit

Unter der Vorvakuumverträglichkeit versteht man den maximalen Druck auf der Vorvakuumseite der Turbomolekularpumpe, bei dem die Kompression der Pumpe absinkt. Dieser Wert wird im Rahmen der Messungen zur Bestimmung der Kompressionsverhältnisse nach

ISO 21360-1:2012 durch Erhöhung des Vorvakuumdrucks ohne Gaseinlass auf der Saugseite ermittelt. Die maximale Vorvakuumverträglichkeit ist in den technischen Daten der Turbomolekularpumpen immer für Stickstoff angegeben.

Basisdruck, Enddruck, Restgas

Man unterscheidet bei Vakuumpumpen zwischen Enddruck und Basisdruck (siehe auch Abschnitt 4.1.3). Während der Basisdruck pb von der Pumpe unter den in den Messvorschriften angegebenen Bedingungen in der vorgeschriebenen Zeit erreicht werden muss, kann der Enddruck pe wesentlich tiefer liegen. Der Basisdruck wird bei sauberen Bedingungen und metallischer Abdichtung im HV-Bereich nach 48 Stunden Ausheizen erreicht. Bei Pumpen mit Aluminiumgehäuse ist der Basisdruck angegeben, der ohne Ausheizen mit sauberen FKM- Dichtungen erreicht wird.

Pumpen in Korrosivgasausführung haben wegen der Beschichtung der Rotoroberfläche eine höhere Desorp-tionsrate, die vorübergehend zu höheren Basisdrücken führen kann.

Der Enddruck ergibt sich durch Division des Vorvakuumdrucks durch das Kompressionsverhältnis.

Formel 4-14: Enddruck

Ob er erreicht wird, hängt von der Größe und Sauberkeit der Apparatur und der Pumpe sowie von den Ausheiz-bedingungen ab. Nach extremem Ausheizen (bis über 300 °C) findet man im Restgas nur noch H2, CO und CO2. Diese Gase sind im Metall des Rezipienten gelöst und treten permanent aus. Ein typisches Restgasspektrum einer sauberen, ausgeheizten Apparatur zeigt Abbildung 4.28.

Bei der verwendeten Vorpumpe sollte in regelmäßigen Abständen der Gasballast eingeschaltet werden, um eine Anreicherung von Wasserstoff im Vorvakuumbereich zu verhindern. In vielen Fällen wird der sich tatsächlich einstellende Enddruck durch die Desorptionsbedingungen auf der Hochvakuumseite der Turbopumpe und deren Saugvermögen bestimmt und nicht durch die Kompressionsverhältnisse der verwendeten Pumpen.

2 1 img 4 28 de 1624037e-de42-45bc-a3f4-79bf377568d8

Abbildung 4.28: Typisches UHV-Restgasspektrum (Turbopumpe)