3.2 Werkstoffe

3.2 Werkstoffe

In der Vakuumtechnik sind die Anforderungen an einen Werkstoff sehr vielfältig. Abhängig vom Einsatzzweck, den Umgebungsbedingungen und des zu erreichenden Vakuums ist zu prüfen, welche Anforderungen die Werkstoffe erfüllen müssen.

Im Folgenden sind wichtige Anforderungen aufgeführt, die zu prüfen sind:

Ausreichende mechanische Festigkeit über den gesamten Einsatztemperaturbereich:

Neben der strukturellen Integrität muss sichergestellt werden, dass die Verformung von Funktionsflächen zu keiner Beeinträchtigung der Funktionalität führt. Beispiel: Der atmosphärische Luftdruck auf evakuierte Kammerbauteile beträgt etwa 10 N/cm2. Bei einer Fläche von 1 m2 ergibt dies eine Kraft von 100.000 N.

Hohe Gasdichtheit:

Jeder Werkstoff ist prinzipiell gasdurchlässig. Der Gesamtvorgang der Gasdurchlässigkeit wird Permeation genannt. Er ist abhängig vom Werkstoff, der Gasart und den Umgebungsbedingungen – insbesondere der Temperatur. Bei der Verwendung von Elastomerdichtungen ist deren Permeation zu berücksichtigen. Beispiel: Für eine FKM(Fluor Kautschuk-)Dichtung der Nennweite DN 500 ISO-K berechnet sich die Permeationsrate für atmosphärische Luft mit 60 % Luftfeuchtigkeit auf etwa 4 · 10-7 Pa · m3/s. Bei typischen Vakuumsystemen mit FKM-Dichtungen wird daher selten ein Arbeitsdruck besser als 1 · 10-8 hPa erreicht.

Geringer Eigendampfdruck, hohe Schmelz- und Siedetemperatur:

Ein zu hoher Eigendampfdruck begrenzt den Vakuum-enddruck. Neben der Vakuumtauglichkeit von Ölen und Fetten muss auch der Eigendampfdruck von Metallen oder deren Partialdruck in Legierungen berücksichtigt werden. Beispiel: Bei Messing begrenzt der Partialdruck des Zinks die maximal zulässige Temperatur im Hochvakuum auf etwa 100 °C.

Saubere Oberflächen, geringer Gehalt an Fremdgasen, leichte Entgasbarkeit:

Saubere Oberflächen sind eine Grundvoraussetzung. Jedoch ist jede Oberfläche, die der Umgebungsluft ausgesetzt war, von einer adsorbierten Schicht überzogen. Chemisch oder physikalisch adsorbierte Moleküle an der Oberfläche oder im Volumen des Werkstoffs stellen eine Gasquelle dar, wenn diese desorbieren (sich von der Oberfläche lösen). Um einen niedrigen Enddruck zu erreichen, müssen Werkstoffe mit geringen Desorptionsraten verwendet werden. Beispiel: Eine Monoschicht absorbiertes Gas entspricht in etwa einer Gasmenge von 4 · 10-2 Pa · m3/m2. Betrachtet man ein beidseitig geschlossenes Rohr mit einem Durchmesser von 50 cm und einer Länge von 100 cm (Oberfläche ca. 2 m2, Volumen ca. 200 l), führt die Freisetzung der Monoschicht zu einem Druckanstieg von etwa 0,4 Pa bzw. 4 · 10-3 hPa. Dabei wurde noch nicht berücksichtigt, dass die Oberfläche immer größer ist als die geometrische.

Gute Temperaturwechselbeständigkeit, angepasstes Ausdehnungsverhalten:

Beispiel: Die unterschiedliche thermische Ausdehnung begrenzt die maximal zulässige Temperatur bei der Kombination Aluminiumdichtung und Edelstahlflansche auf etwa 150 °C. Nach zu hohen Temperaturen tritt beim Abkühlen häufig eine Verschlechterung der Dichtwirkung ein.

Korrosionsbeständigkeit, chemische Resistenz:

Beispiel: Viele Beschichtungsprozesse erfordern chemisch aktive Prozessgase. Es ist daher zu prüfen, ob die verwendeten Fluide Bauteile oder Dichtungen angreifen. Insbesondere dünnwandige Bauteile wie Metallbälge sind durch Korrosion gefährdet. Ihre Standzeit ist gegebenenfalls durch Versuche zu ermitteln.

Spezielle Anwendungen können zudem weitere Forderungen an die Werkstoffe stellen.

Allgemein gilt: Je niedriger der angestrebte Arbeitsdruck ist, desto höher sind die Ansprüche an das Material und desto kleiner ist die Auswahl an möglichen Materialien. Daher hat insbesondere in der UHV(Ultrahochvakuum-) Technik die Materialauswahl eine große Bedeutung.

Viele Metalle und Metalllegierungen haben eine hohe Festigkeit, sind gut zu verarbeiten und zu reinigen, temperaturbeständig und weniger empfindlich gegenüber mechanischen Einwirkungen wie etwa Gläser. Die Berücksichtigung wirtschaftlicher Aspekte wie der Materialpreis oder die Verfügbarkeit führt im Wesentlichen zur Auswahl von Edelstahl, Normalstahl und Aluminiumlegierungen als Werkstoffe für mechanische Komponenten.

3.2.1.1 Edelstahl

Edelstahl ist der bevorzugte Werkstoff für den Bau von Kammern oder Komponenten in der Vakuumtechnik. Edelstahl besitzt eine ausreichende Festigkeit für Flanschverbindungen – auch bei Ausheizprozessen. Er ist vakuumtauglich zu schweißen, seine Oberfläche ist hinreichend gut passiviert und bietet damit einen ausreichenden Schutz für viele Anwendungsbereiche.

In den folgenden Tabellen sind die chemische Zusammensetzung und die Eigenschaften der in der Vakuumtechnik gebräuchlichen Edelstähle aufgeführt.

Werkstoffnummer

C [≤ %]

Cr [%]

Ni [%]

Mo [%]

Sonstige

Si [≤ %]

Mn [≤ %]

S [≤ %]

1.4301

0.07

17.5 – 19.5

8.0 – 10.5

N ≤ 0.11

1.0

2.0

0.015

1.4305

0.10

17.0 – 19.0

8.0 – 10.0

N ≤ 0.11, Cu ≤ 1

1.0

2.0

0.15 – 0.35

1.4306

0.03

18.0 – 20.0

10.0 – 12.0

N ≤ 0.11

1.0

2.0

0.015

1.4307

0.03

17.5 – 19.5

8.0 – 10.5

N ≤ 0.11

1.0

2.0

0.015

1.4401

0.07

16.5 – 18.5

10.0 – 13.0

2.0 – 2.5

N ≤ 0.11

1.0

2.0

0.015

1.4404

0.03

16.5 – 18.5

10.0 – 13.0

2.0 – 2.5

N ≤ 0.11

1.0

2.0

0.015

1.4429

0.03

16.5 – 18.5

11.0 – 14.0

2.5 – 3

N 0.12 – 0.22

1.0

2.0

0.015

1.4435

0.03

17.0 – 19.0

12.5 – 15.0

2.5 – 3

N ≤ 0.11

1.0

2.0

0.015

1.4571

0.08

16.5 – 18.5

10.5 – 13.5

2 – 2.5

Ti 5 × C ≤ 0.7

1.0

2.0

0.015

Tabelle 3.1: Chemische Zusammensetzung (Masseanteil) von Edelstählen gemäß der europäischen Werkstoffbezeichnung nach EN 10088 Teil 1

AISI-Nummer

C [≤ %]

Cr [%]

Ni [%]

Mo [%]

Sonstige

Si [≤ %]

Mn [≤ %]

S [≤ %]

304

0.08

18.0 – 20.0

8.0 – 10.5

N ≤ 0.1

0.75

2.0

0.03

304L

0.03

18.0 – 20.0

8.0 – 12.0

N ≤ 0.1

0.75

2.0

0.03

316

0.08

16.0 – 18.0

10.0 – 14.0

2.0 – 3.0

N ≤ 0.1

0.75

2.0

0.03

316L

0.03

16.0 – 18.0

10.0 – 14.0

2.0 – 3.0

N ≤ 0.1

0.75

2.0

0.03

316LN

0.03

16.0 – 18.0

10.0 – 14.0

2.0 – 3.0

N 0.10 – 0.16

0.75

2.0

0.03

Tabelle 3.2: Chemische Zusammensetzung (Masseanteil) von Edelstählen gemäß der Werkstoffbezeichnung nach AISI (American Iron and Steel Institute)

Werkstoff­nummer

0,2 % Dehn­grenze Rp 0,2 bei 20 °C [N/mm2]

0,2 % Dehn­grenze Rp 0,2 bei 300 °C [N/mm2]

Zugfestig­keit Rm bei 20 °C [N/mm2]

Wärmeaus­dehnung zwischen 20 und 300 °C [10-6 K-1]

Gebrauchs­temperatur bei Luft [°C]

Gefüge

Magnetisier­barkeit

1.4301

≥ 190

≥ 110

500 – 700

17.0

300

Austenit (ggf. Ferritanteil)

vorhanden 1)

1.4306

≥ 180

≥ 100

460 – 680

17.0

350

Austenit (ggf. Ferritanteil)

vorhanden 1)

1.4307

≥ 175

≥ 100

500 – 700

17.0

350

Austenit (ggf. Ferritanteil)

vorhanden 1)

1.4401

≥ 200

≥ 127

500 – 700

17.0

300

Austenit (ggf. Ferritanteil)

weniger vorhanden 1)

1.4404

≥ 200

≥ 119

500 – 700

17.0

400

Austenit (ggf. Ferritanteil)

weniger vorhanden 1)

1.4429

≥ 280

≥ 155

580 – 800

17.0

400

Austenit

kaum vorhanden 2)

1.4435

≥ 200

≥ 119

500 – 700

17.0

400

Austenit

kaum vorhanden 2)

1.4571

≥ 200

≥ 145

500 – 700

18.0

400

Austenit (ggf. Ferritanteil)

vorhanden 1)

1)Kann im abgeschreckten Zustand leicht magnetisch sein. Die Magnetisierbarkeit nimmt mit steigender Kaltverfestigung zu.
2)Kann mit steigender Kaltverfestigung leicht magnetisch sein.
Tabelle 3.3: Eigenschaften von Edelstählen

Häufig werden europäische Werkstoffnummern mit vergleichbaren Werkstoffbezeichnungen des AISI (American Iron and Steel Institute) synonym verwendet, so z. B. 1.4301 mit 304, 1.4307 und 1.4306 mit 304L, 1.4404 und 1.4435 mit 316L oder 1.4429 mit 316LN. Die Werkstoffe sind aber nur näherungsweise vergleichbar. Für Vakuumanwendungen sind die Unterschiede meist marginal. Für spezielle Anforderungen muss die Austauschbarkeit jedoch im Einzelfall beurteilt werden. Beispiel: Wird für ein Bauteil der Werkstoff 1.4301 vorgeschrieben, ist dies üblicherweise mithilfe des zugeordneten Werkstoffzeugnisses zu belegen. Ist im Zeugnis nur der Werkstoff 304 attestiert, ist die Forderung nicht erfüllt. Entscheidend ist hier die Benennung im Zeugnis. Hersteller können Halbzeuge auch mehrfach attestieren, wenn die jeweiligen Werkstoffspezifikationen erfüllt sind. Wird ein Werkstoff z. B. als 1.4301, 1.4307, 304 und 304L attestiert, sind die Verwendungsmöglichkeiten vielfältiger.

Um Probleme – etwa bei der Abnahme einer Anlage – zu vermeiden, sind die Forderungen an die Werkstoffe und deren Attestierung bereits bei der Anfrage von Halbzeugen oder Bauteilen zu benennen. Eine nachträgliche Attestierung ist häufig nicht möglich, insbesondere bei speziellen Forderungen: beispielsweise nach besonderen mechanischen Eigenschaften, einer Einschränkung in der chemischen Zusammensetzung oder die Attestierung nach AD 2000 W2 (Arbeitsgemeinschaft Druckbehälter 2000, Merkblatt W2, „Werkstoffe für Druckbehälter“) oder ASME (American Society of Mechanical Engineers).

Edelstahl 1.4301: der am häufigsten eingesetzte Chrom-Nickel-Stahl. Sehr gut kaltumformbar, schweißbar und polierbar. Für viele Anwendungen ausreichende Korrosionsbeständigkeit. Geeignet für Vakuumanwendungen. Wird z. B. für Flansche, Rohrbauteile und Kammern verwendet.

Edelstahl 1.4305: Variante von 1.4301 mit Schwefelanteil zur Verbesserung der Zerspanbarkeit (Automatenstahl). Geringere Korrosionsbeständigkeit als 1.4301. Nicht schweißbar. Hinreichend gut geeignet für Vakuum-anwendungen. Wird teilweise verwendet für Dreh- und Fräsbauteile wie z. B. Zentrierringe.

Edelstahl 1.4307, 1.4306: kohlenstoffarme Variante von 1.4301. Aufgrund des niedrigen Kohlenstoffgehalts schweißbar, ohne gegen interkristalline Korrosion anfällig zu sein. Etwas geringere Festigkeit als 1.4301. Sehr gut geeignet für Vakuumanwendungen. Wird verwendet, wenn ein sehr geringer Kohlenstoffanteil gefordert wird, z. B. für CF-Flansche. 1.4307 verdrängt zusehends 1.4306, da die mit dem höheren Chrom- und Nickelanteil verbundenen Vorteile häufig nicht ausreichen, um die höheren Bezugskosten zu rechtfertigen.

Edelstahl 1.4401: sehr gut kaltumformbar. Gut schweißbar und polierbar. Wegen des Molybdän-Zusatzes gegenüber nichtoxidierenden Säuren und chloridionenhaltigen Medien beständiger als 1.4301. Gut geeignet für Vakuumanwendungen. Wird z. B. verwendet für Ventilgehäuse, in Bereichen, die einen höheren Schutz vor Korrosion benötigen, oder für die Trinkwasserhausinstallation.

Edelstahl 1.4404: kohlenstoffarme Variante von 1.4401. Aufgrund des niedrigen Kohlenstoffgehalts schweißbar, ohne gegen interkristalline Korrosion anfällig zu sein. Sehr gut geeignet für Vakuumanwendungen. Wird verwendet, wenn ein sehr geringer Kohlenstoffanteil oder eine höhere Korrosionsbeständigkeit gefordert wird, z. B. für Rohre und Flanschbauteile in der Halbleiterindustrie.

Edelstahl 1.4435: Der im Vergleich zu 1.4404 höhere Nickelanteil stabilisiert das austenitische Gefüge, verringert die Bildung von Deltaferrit und ist dadurch auch im Schweißnahtbereich kaum magnetisierbar. Aufgrund des erhöhten Molybdän-Zusatzes gegenüber nichtoxidierenden Säuren und chloridionenhaltigen Medien beständiger als 1.4404. Sehr gut geeignet für Vakuumanwendungen. Wird häufig in der pharmazeutischen Industrie eingesetzt, dort auch entsprechend der Basler Norm 2 (BN2), die engere Analysengrenzen setzt und den zulässigen Ferritgehalt definiert.

Edelstahl 1.4429: ähnliche Eigenschaften wie 1.4435, jedoch größere Festigkeit durch den hohen Stickstoff-anteil. Dieser stabilisiert zudem das austenitische Gefüge, minimiert dadurch die Bildung von Deltaferrit und somit die Magnetisierbarkeit. Sehr gut geeignet für Vakuum-anwendungen. Wird verwendet für CF-Flansche, insbesondere wenn eine Vakuumglühung zur Reinigung oder Entmagnetisierung bei hohen Temperaturen erfolgt. Die Verfügbarkeit für Rohre und Bleche aus 1.4429 ist gering. Bei Kammern oder Komponenten werden daher Flansche aus 1.4429 häufig mit Halbzeugen aus 1.4404 oder 1.4307 kombiniert.

Edelstahl 1.4429 ESU: Eigenschaften wie 1.4429, jedoch verbessertes Gefüge und höhere Reinheit durch die ESU-(Elektro-Schlacke-Umschmelzverfahren)Behandlung. Hervorragend geeignet für Vakuumanwendungen. Wird als Premiumqualität für CF-Flansche verwendet, die eine große Festigkeit und geringste Magnetisierbarkeit aufweisen, verbunden mit der hohen chemischen Reinheit und Homogenität des Gefüges.

Edelstahl 1.4571: klassischer „V4A“-Stahl mit einer hohen Verfügbarkeit. Mit Titan stabilisiert und daher schweißbar, ohne gegen interkristalline Korrosion anfällig zu sein. Ähnliche Eigenschaften wie 1.4401, jedoch aufgrund der Titankarbide im Gefüge nur mäßig polierbar und nicht tauglich zum Elektropolieren. Gut geeignet für Vakuumanwendungen. Wird z. B. für Verrohrungen und im Apparatebau verwendet, wenn eine höhere Korrosionsbeständigkeit erforderlich ist.

ESU (Elektro-Schlacke-Umschmelzverfahren): Durch das ESU-Verfahren werden unter kontrollierten, reproduzierbaren Prozessbedingungen dichte und seigerungsarme Edelstähle von hoher chemischer und struktureller Reinheit erzeugt. Im ESU-Ofen wird der Block einer Primärschmelze elektrisch umgeschmolzen. Ein elektrischer Pol liegt am Primärblock, der Gegenpol am Boden des wassergekühlten Tiegels an. Zwischen den Polen befindet sich Schlacke, die mittels Widerstandserwärmung oberhalb der Schmelztemperatur des Edelstahls aufgeheizt wird. Von der Unterseite des Primärblocks lösen sich ständig Metalltropfen, die im Kontakt mit der flüssigen Schlacke von nichtmetallischen Verunreinigungen gereinigt werden. Grobe Einschlüsse verschwinden beim Durchgang durch die Schlacke nahezu vollständig. Die verbleibenden restlichen Einschlüsse sind klein und nahezu gleichmäßig über den Sekundärblock verteilt. Der durch das ESU-Verfahren gereinigte Edelstahl zeichnet sich durch eine außerordentlich hohe Dichte und Homogenität aus.

Austenitische Stähle sind gut schweißbar und als Vollaustenit nicht magnetisch. Im geglühten Zustand zeichnen sie sich durch sehr hohe Zähigkeitswerte aus, die auch bei extrem tiefen Temperaturen beibehalten werden. Sie neigen zu starker Kaltverfestigung, insbesondere bei höherem Kohlenstoffgehalt. Dabei können sich Teile des Gefüges in Verformungsmartensit umwandeln. Vollaustenitische Stähle neigen beim Schweißen zur Heißrissbildung. Bei vielen austenitischen Werkstoffen wird daher die chemische Zusammensetzung so abgestimmt, dass im Schweißgut Anteile von bis zu 10 % Deltaferrit entstehen, der die Heißrissanfälligkeit reduziert. Viele als austenitisch bezeichnete Stähle können daher ferritische oder martensitische Anteile im Gefüge enthalten, abhängig von ihrer mechanischen oder thermischen Behandlung.

Magnetisierbarkeit: Ein vollaustenitisches Gefüge ist nicht magnetisierbar. Durch die beschriebene Umwandlung von Anteilen des Gefüges in Verformungsmartensit oder die Bildung von Deltaferrit können auch als austenitisch bezeichnete Stähle leicht magnetisch werden. Denn sowohl Martensit als auch Ferrit sind magnetisierbar. Durch Lösungsglühen kann die Kaltverfestigung und damit das Martensit reduziert oder sogar aufgelöst werden. Die Anteile des Deltaferrits im Gefüge sind im Wesentlichen vom Verhältnis der Ferritbildner Chrom, Molybdän, Silizium und Niob zu den Austenitbildnern Nickel, Kohlenstoff, Stickstoff und Mangan abhängig. Der Ferritanteil lässt sich durch eine Wärmebehandlung teilweise abbauen und dadurch die Magnetisierbarkeit verringern. Da Edelstähle mit gleicher Werkstoffbezeichnung im Rahmen der beschriebenen Grenzen unterschiedliche chemische Zusammensetzungen haben dürfen, ist deren Magnetisierbarkeit keine fixe Größe. Durch Auftragung des Nickel-Äquivalents der Austenitbildner gegen das Chrom-Äquivalent der Ferritbildner in einem Diagramm nach DeLong lassen sich in etwa die jeweils auftretenden Gefügeanteile an Austenit und Ferrit ablesen. In Abbildung 3.3 sind für einige Edelstähle die Bereiche der Chrom- und Nickel-Äquivalente eingetragen (farbige Rechtecke) und deren mittleren Äquivalente als Symbole aufgeführt.

Stabilisierte Stähle enthalten Titan oder Niob, die den beim Schweißen ausscheidenden Kohlenstoff binden und damit die Bildung von Chromkarbiden verhindern. Die Bildung von Chromkarbiden würde zu einer Chromverarmung an den Korngrenzen führen und damit den Werkstoff anfällig gegen interkristalline Korrosion werden lassen. Bei Schweißkonstruktionen sollten ab ca. 6 mm Blechdicke kohlenstoffarme (C ≤ 0,03 %) oder stabilisierte Edelstähle verwendet werden. Die Titankarbide schränken die Polierbarkeit stark ein.

Wärmebehandlungen: Bei austenitischen Edelstählen liegt die Temperatur für das Lösungsglühen bei etwa 1.050 °C. Wegen der Gefahr der Chromkarbidbildung, die vorzugsweise im Temperaturbereich zwischen 600 °C und 800 °C abläuft, und der damit verbundenen Beeinträchtigung gegenüber interkristalliner Korrosion muss der Temperaturbereich zwischen 900 °C und 500 °C schnell durchfahren werden. Fertig bearbeitete Vakuumbauteile können unter Vakuum im Temperaturbereich von 950 °C bis 1.100 °C geglüht werden. Dabei werden die Oberflächen insbesondere von restlichen Kohlenwasserstoffen gereinigt (Reinigungsglühen), im Volumen gebundener Wasserstoff gast aus (Wasserstoffarmglühen) und die Magnetisierbarkeit nimmt ab (Entmagnetisierungsglühen). Zudem lösen sich eventuell vorhandene Chromkarbide auf (Lösungsglühen) und durch die Verarbeitung entstandene Spannungen im Werkstoff werden abgebaut (Spannungsarmglühen). Die Wärme-behandlung baut jedoch auch mechanisch vorteilhafte Verfestigungen ab. Bei metallisch gedichteten Flanschen kann das Glühen zu einer unerwünschten Verringerung der Werkstoffhärte im Schneidenbereich führen. Die Schneiden können dann bei der Verwendung von Metalldichtungen umklappen und ihre Funktion einbüßen. Wir empfehlen daher bei Glühbehandlungen den Flanschwerkstoff 1.4429 ESU. Seine außergewöhnliche Härte gewährleistet ausreichend harte Schneiden.

Korrosion: Korrosion hängt von verschiedenen Faktoren ab, sodass Angaben zur Beständigkeit nur einen Richtwertcharakter haben und der allgemeinen Information dienen. Sie sollen die Auswahl des Edelstahls erleichtern, stellen aber keinesfalls eine Garantie dar, da sie nicht ohne weiteres auf die realen Betriebsverhältnisse anwendbar sind. Korrosionsbeschleunigend wirken sich z. B. Temperatur und Konzentrationserhöhungen, mechanische Belastungen und Beschädigungen der Oberflächen aus. Außerdem verhindert das Nichtvorhanden sein von Sauerstoff eine Neubildung der passivierenden Chromoxidschicht, sodass kein Korrosionsschutz besteht. Ferner können Verunreinigungen die Korrosion fördern. In der Praxis sind meist Chlorionen und andere Halogenidionen die Auslöser von Loch-, Spalt- und Spannungsrisskorrosion. Die Passivschicht wird dabei lokal durchbrochen und die Korrosion setzt sich lokal fort. Insbesondere dünnwandige Bauteile wie Metallbälge sind durch diese Korrosionsarten gefährdet. Ihre Standzeit ist gegebenenfalls durch Versuche zu ermitteln. Zudem stellt Kühlwasser eine nicht zu unterschätzende Gefahr für Bauteile dar. Die vom Wasser umflossenen Flächen müssen ausreichend passiviert sein und das Kühlwasser muss die vom Hersteller spezifizierten Eigenschaften aufweisen.

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Abbildung 3.1: Temperaturabhängigkeit des Elastizitätsmoduls austenitischer Edelstähle

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Abbildung 3.2: Temperaturabhängigkeit der 0,2 % Dehngrenze austenitischer Edelstähle

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Abbildung 3.3: De Long-Diagramm

3.2.1.2 Normalstahl

Normalstahl wird in der Vakuumtechnik verwendet, solange nicht Drücke von weniger als etwa 1 · 10-5 hPa erzeugt und aufrechterhalten werden müssen und ein Korrosionsschutz nicht erforderlich ist. Es ist im Vergleich zu Edelstahl ein verhältnismäßig kostengünstiges Bau- und Konstruktionsmaterial, gut schweißbar und einfach zu bearbeiten. Bei der Verwendung sind allerdings die ständige Gasabgabe von CO und die Neigung, auch an Luft zu korrodieren, zu beachten. Atmosphärenseitig kann ein Korrosionsschutz durch Lackieren erfolgen, vakuumseitig durch Vernickeln. Für den Behälterbau müssen die verwendeten Stahlgüten sorgfältig ausgewählt werden, insbesondere hinsichtlich der Schweißbarkeit und Dichtheit. Die Arbeitstechniken des Kesselbaus sind nur eingeschränkt auf den Vakuumbehälterbau übertragbar. Bei der Dimensionierung ist die Beanspruchung durch den äußeren Atmosphärendruck zu berücksichtigen und die Schweißarbeiten müssen vakuumgerecht erfolgen. Zudem sind die verwendeten Werkzeuge strikt von denen zu trennen, die für die Edelstahlbearbeitung eingesetzt werden, um den Edelstahl nicht zu verunreinigen. Gleiches gilt für die Lagerung und den Transport von Normalstahl und Edelstahl. Normalstahl wird häufig für die Befestigungselemente von Flanschverbindungen verwendet, wobei die Oberflächen verzinkt, vernickelt oder verchromt werden, um sie vor Korrosion zu schützen.

3.2.1.3 Aluminium

Aluminium wird vor allem im Fein- und Hochvakuumbereich meist als Legierung verwendet, in speziellen Fällen auch als Reinstaluminium. Bauteile wie z. B. ISO-KF-Rohrbauteile werden vielfach aus Aluminiumgusslegierungen hergestellt, deren Flanschflächen nachgearbeitet werden. Bei der Materialauswahl ist auf Lunkerbildung und Porosität besonders zu achten. Zum Zentrieren und Stützen von Dichtringen werden Bauteile aus Stangenmaterial gefertigt. Als metallische Dichtungen in Form von Profildichtungen oder Drähten, werden bevorzugt weichgeglühte Aluminium-Silizium-Legierungen eingesetzt.

Der Dampfdruck von Aluminium ist gering und beträgt beim Schmelzpunkt von 660 °C nur ca. 6 · 10-9 hPa. Die große Wärmeausdehnung, die hohe Wärmeleitfähigkeit und die stabile Aluminiumoxidschicht erschwerten das Schweißen von Aluminium. Hier besteht die Gefahr der Poren- und Rissbildung, verbunden mit einem großen Verzug. Eine gleichmäßige Erwärmung vor dem Schweißen verringert diese Gefahren. Sie ist in der Praxis jedoch häufig nicht möglich.

Aluminium ist nicht magnetisierbar. Für metallisch dichte UHV-Verbindungen, sind Aluminiumflanschverbindungen nur sehr begrenzt einsetzbar, da deren Härte häufig zu gering ist. Es wurden zwar spezielle Bimetallflansche, bestehend aus einer Aluminiumunterlage und Edelstahlauflage oder Aluminiumflansche mit randgehärteten Dichtbereichen entwickelt. Ihr Einsatz scheitert jedoch häufig am relativ hohen Preis, der kritischen Verarbeitbarkeit oder den begrenzten Einsatzmöglichkeiten.

Zur Erhöhung der Abriebfestigkeit, z. B. für den Einsatz in Reinräumen oder zur Erhöhung des Korrosionsschutzes, werden Aluminiumoberflächen häufig eloxiert. Dabei entsteht eine mehrere µm starke, poröse Oxidschicht, die nur bedingt für Vakuumanwendungen geeignet ist. In solchen Oberflächen lagern sich vermehrt Gasmoleküle ein und führen zu hohen Desorptionsraten. Zudem können Gasmoleküle den Oberflächenbereich unter Dichtungen untertunneln und damit Leckagen erzeugen. Es stehen diverse Eloxalverfahren zur Verfügung. Bei der Entscheidung, ob und welches Verfahren eingesetzt wird, müssen die Einschränkungen berücksichtigt und mit den Vorteilen abgewogen werden.